„Bitte sagen Sie Angela Merkel, dass die Fahrradfahrer hier mal ihre Klingel benutzen sollen, das ist ja lebensgefährlich!“ Dies sagte ein Teilnehmer der politischen Bildungsfahrt nach Berlin Anfang Mai zur Reiseleiterin. Tatsächlich mussten alle sehr gut aufpassen, wenn es täglich viele Male rein und raus in den Bus von „unserem Ali“ ging.
Zwischen Straße und Bürgersteig lag der Fahrradweg und dort rasten viele Fahrradfahrer entlang. Ulrike Bahr hatte 50 Menschen aus ihrem Wahlkreis eingeladen. Darunter waren junge Erwachsene mit einer Behinderung und ihre Angehörigen aus Augsburg und Umgebung. Untergebracht war die Gruppe in einem Hotel in der Frankfurter Allee. Zu den Höhepunkten der viertägigen Fahrt gehörten Besuche im Kanzleramt, im Bundestag und eine Schifffahrt auf der Spree. Nach der rund viereinhalbstündigen Anreise aus Augsburg machte die Gruppe zunächst eine Stadtrundfahrt durch das Regierungsviertel. Der sogenannte Stadtbilderklärer Axel Schlicht berichtete Skurriles und Wissenswertes. Der 2006 gebaute Hauptbahnhof ist der größte Kreuzungsbahnhof in Europa. Früher hatte Berlin elf Kopfbahnhöfe, beeindruckende Gebäude, teils schön wie Kathedralen. Die Charité war zunächst 1710 als Pesthaus gebaut worden, dann sei die Pest aber nicht bis Berlin gekommen und es entstand das Krankenhaus. Einer der vielen berühmten Ärzte an der Charité war Rudolf Virchow, der sich als Abgeordneter im Deutschen Reichstag für eine Kanalisation in Berlin einsetzte. Die Berliner geben ihren Gebäuden gerne Spitznamen, zum Beispiel „Big Benz“, „Spätzlesbunker“ oder „Schwangere Auster“. Im Bundestag verfolgte die Gruppe eine Fragestunde. Der Umweltministerin Svenja Schulze und einigen Staatssekretären waren Fragen gestellt worden, welche nun beantwortet wurden. Dabei ging es beispielsweise um Klimaziele oder Masernerkrankungen. Im Anschluss daran berichtete die Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr in einem Nebenraum über ihren Alltag zwischen Wahlkreis und Sitzungswochen, erläuterte auch die unterschiedliche Anwesenheitsdichte der Abgeordneten im Plenarsaal, die manchen Besucher erstaunt hatte. „Es ist die Regel, an Sitzungstagen nicht von morgens bis spät abends im Saal zu sein, sondern auch außerhalb des Plenarsaals an seinen Themen zu arbeiten. Finden wichtige Abstimmungen statt, dann werden die Abgeordneten von ihren Mitarbeitern angefunkt und eilen dann in den Saal, um abzustimmen“, so Bahr. Dann hieß sie ihre Kollegin Angelika Glöckner, die behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, willkommen. Teilnehmer der Fahrt berichteten Angelika Glöckner, wie mühsam und aufreibend es sei, Geld für ihre behinderten Kinder zu beantragen. „Für vier Jahre haben wir neun verschiedene Bescheide bekommen – und das mit sechs verschiedenen Sachbearbeitern, denen man jedes Mal den gesamten komplexen Fall noch einmal erklären muss!“, berichtete eine Mutter. Beklagt wurde, dass es keine neutrale Beratungsstelle gebe. Das von der SPD mit angeschobene geplante Bundesteilhabegesetz mit der Verpflichtung aller Geldgeber, sich zusammen an einen Tisch zu setzen, werde skeptisch gesehen, so die Eltern. Angelika Glöckner erklärte, ebenso wie Ulrike Bahr alle Anliegen der Betroffenen zu bearbeiten beziehungsweise an die entsprechenden Stellen weiterzuleiten. Im ehemaligen Stasigefängnis Hohenschönhausen, das heute eine Gedenkstätte ist, wurde die Gruppe geteilt. In beiden Fällen waren ehemalige Insassen des Gefängnisses diejenigen, die durch das Gebäude führten. Hatte es zunächst in dem Untersuchungsgefängnis unter sowjetischer Führung nach dem zweiten Weltkrieg noch körperliche Folter gegeben, hatte die Stasi später noch perfidere Methoden als den körperlichen Schmerz. „Es war sehr bedrückend, was wir erfahren haben“, so eine Teilnehmerin. Bis heute leben rund um die Anlage viele Menschen, die zu DDR-Zeiten im Gefängnis gearbeitet haben. Weil sie zu ihrer Zeit im Sinne des geltenden Rechts handelten, wurden sie nie für die Verbrechen, die sie nach Ansicht ihrer Opfer begangen haben, belangt. Während einer abendlichen Spreefahrt konnte die Reisegruppe Berlin noch einmal aus einer ganz besonderen Perspektive erleben. Warmes Abendlicht lockte die Fotografen an Deck, obwohl es bitter kalt draußen war. Eine der Spreebrücken ist so tief, dass der Kapitän alle aufforderte, sich zu setzen – im Stehen wäre man wohl mit dem Kopf an die Brücke gestoßen.