Die Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr hat Anfang Mai zum zweiten Mal eine Fachkonferenz „Zukunft der Kinder- und Jugendhilfe“ veranstaltet. Rund 60 Fachleute aus ganz Bayern waren der Einladung gefolgt.
Professor Peter Schruth (Jurist, Sozialarbeiter und Hochschullehrer in Magdeburg-Stendal) referierte zunächst über die Entwicklungsaufgaben der Ombudschaft. Seine Kernthese lautete, dass Ombudschaft als Beistand für Personensorgeberechtigte und Jugendliche unbedingt notwendig sei, um die „Stolpersteine“ im jugendhilferechtlichen Verwaltungsverfahren auszugleichen. Stolpersteine seien insbesondere die Missachtung der Beteiligung, hochschwellige Verfahren oder Mandatskonflikte. Auch die Machtasymmetrie zwischen den Profis mit Sprache, Kompetenz und Entscheidungsbefugnis und den Klienten führte er an. Ombudsstellen sollten auch als Einrichtungen der Jugendhilfe nach §75 SGB VIII anerkannt werden. Ziel ombudschaftlicher Beratung sind die Empfänger von Hilfen zur Erziehung, Pflegekinder und junge Menschen im Übergang zwischen den Systemen. Bislang sind die Angebote in den Bundesländern sehr unterschiedlich gut entwickelt.
Dr. Christian Lüders, Leiter der Abteilung Jugend und Jugendhilfe am Deutschen Jugendinstitut in München, ging auf das Thema „Inklusion und SGB VIII“ ein. Mit Bezug auf Inklusion sei noch einmal neu zu diskutieren, ob ein einheitlicher Leistungstatbestand der richtige Weg sei. „Die Behindertenhilfe kann dem inzwischen durchaus etwas abgewinnen, weil sie den systemischen Blick der Jugendhilfe, weg von Diagnose und ICF, schätzen gelernt hat“, erläuterte Lüders. An der Frage „Wer erhält den Leistungsanspruch?“ entzündet sich eine Grundsatzdebatte über den Subjektstatus von Kindern, über im Grundgesetz garantierte Elternrechte und den Anspruch auf Stärkung der Erziehungskompetenz.
Lüders führte aus, dass bei der Verankerung eines Bekenntnisses zur Inklusion im SGB VIII Stellung und Verbindlichkeit wichtig seien. Daher sollte Inklusion in den ersten Paragraphen, nicht in den neunten. „Diese Debatten müssen Jugendhilfe und Behindertenhilfe gemeinsam führen und brauchen dafür die Unterstützung der Politik“, so Lüders. Weitere Aspekte wurden aufgezählt: Mit dem Bundesteilhabegesetz gebe es einen neuen Behinderungsbegriff („Wechselwirkung von Beeinträchtigung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“), daher müsse auch die Definition im SGB VIII (§35a) entsprechend angeglichen werden. Die Jugendhilfe brauche in ihrer Breite entsprechende inklusive Angebote! Mit überfordernden Inklusionsansprüchen sei aber auch niemandem geholfen. Darum plädierte Lüders für Bundesmodellprojekte, um inklusive Angebote der Jugendhilfe in einem geschützten Raum zu erproben. Verfahren zur Bedarfsermittlung seien bisher auch in der Fachwelt noch sehr unklar. „Wir brauchen eine Änderung der Frühförderungsverordnung, und in allen Bereichen müssen die Kompetenzen von Fachleuten des BTHG eingebunden werden“, so Lüders weiter.
In der von Diakon Christian Oerthel moderierten Diskussion wurden weitere Fachfragen angesprochen. Sind Eltern oder Kinder und Jugendliche die Adressaten von Ombudschaft? Mit welchen rechtlichen und sozialpolitischen Maßnahmen kann die Situation für junge Volljährige einheitlicher gestaltet werden? Wer sollte einen Rechtsanspruch auf „Hilfe zur Erziehung“ haben, Eltern oder Kinder? Wie könnten Bundesmodellprojekte für Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe aussehen?
Zuletzt war dann noch einmal die Ombudschaft ein Thema. In Bayern gäbe es viele Vorbehalte und Abwehrreaktionen, berichtete ein Teilnehmer. Der Landkreistag habe sich dagegen ausgesprochen und die Jugendämter fühlten sich ungerechtfertigt angegriffen. Aber der Verein Unabhängige Ombudsstelle in Bayern e.V. leiste hier vorbildliche vertrauensbildende Lobbyarbeit.
„Die Anregungen aus der heutigen Diskussion nehme ich als Berichterstatterin für Kinder- und Jugendhilfe in der SPD-Bundestagsfraktion gerne mit nach Berlin“, schloss Bahr.