„Mehr Regulierung im Arbeitsrecht ist dringend nötig!“ waren sich die Bundestagsabgeordnete Ulrike Bahr und Vertreter von Gewerkschaften sowie die Wissenschaftlerin Dr. Ursula Stöger einig. Ulrike Bahr hatte die Experten eingeladen, um das Thema Arbeit und Zeitpolitik zu diskutieren und Themen wie Lohnungerechtigkeit, Scheinselbständigkeit und die von den Arbeitgebern geforderte Flexibilisierung zu besprechen.
Während Torsten Falke von der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IGBCE) das Thema Homeoffice eher kritisch sieht, weil dies zu einer Entgrenzung der Arbeitszeit führe und sich Fragen stellen, wie zum Beispiel, dass solche Arbeitnehmer bisher keinen Unfallschutz haben, oder auch die Frage nach einer ergonomischen Gestaltung dieser Heimarbeitsplätze dem Arbeitnehmer aufgebürdet werden, berichtete Mathias Hennig von der Deutschen Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) von guten Erfahrungen mit der „alternierenden Telearbeit“. „Gerade bei Eltern in Teilzeit ist das sehr beliebt, sie verbringen dann mindestens ein Drittel ihrer Arbeitszeit im Büro und den Rest der Zeit zuhause“, sagte Hennig. Falke sagte, in Familienunternehmen würden die Mitarbeiterrechte fair geachtet, anders bei den Großunternehmen: „Dort in den Zentralen halten sie die Geschäftsführer an der kurzen Leine, die bekommen weniger Gehalt, wenn sie ihre Zielvorgaben nicht erreichen“.
„In Zukunft werden wir weniger Zeit mit Arbeiten verbringen“, sagte die Soziologin Dr. Ursula Stöger. Langfristig müsse sich die Gesellschaft darauf einstellen, dass alle Maßnahmen für eine würdige Gestaltung und Kombination von Arbeitszeit, Freizeit, Familie und Beruf mit einem weiteren Einstieg in die Verkürzung der Wochenarbeitszeit verbunden sein werde, so Stöger. Immer mehr Arbeitsverhältnisse würden nicht mehr durch Tarifverträge abgedeckt. „Hier ist unbedingt mehr Regulierung durch Arbeitsgesetze nötig!“. Helmut Jung vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) plädierte dafür, alle Begriffe in der derzeitigen Zeitdebatte genau zu hinterfragen. „Der überall beklagte Fachkräftemangel kommt nicht von ungefähr, sondern liegt darin begründet, dass immer weniger Unternehmen ausbilden“, so Jung. Bildungspläne würden Kinder nicht auf das Leben vorbereiten, sondern für den Beruf.
Alle Gesprächsteilnehmer waren sich einig, dass das Verhalten von Ordnungsbehörden, unter anderem Staatsanwaltschaften, die Anzeigen von Arbeitnehmern und Gewerkschaften wegen kontinuierlichen Verstößen gegen geltende Schutzrechte von Arbeitnehmern, wegen Geringfügigkeit einstellten, dafür sorgten, dass die Arbeitnehmer immer weniger Vertrauen in den Schutz des Staates hätten. „Im Straßenverkehr ist der Führerschein bei geringfügigen Überschreitungen gleich weg – das unfaire Verhalten von Arbeitgebern dagegen, die Menschen daran hindern und mit Kündigung bedrohen weil sie zum Beispiel Betriebsräte wählen wollen oder die Gewerkschaft zu Tarifverhandlungen ins Unternehmen holen, wird geduldet, das darf nicht sein!“, sagte Torsten Falke. Es sei eine unerträgliche Situation, dass diese massiven Nötigungen nicht sanktioniert werden. Thomas Guerlebeck sagte, in vielen Unternehmen gehörten Arbeitnehmer mit 35 Jahren schon zum „alten Eisen“. „Die Unternehmen haben die soziale Marktwirtschaft schon aufgegeben. Gewisse Versandhändler in unserer Region verkörpern Turbokapitalismus in Reinkultur“, so Guerlebeck.
Ulrike Bahr berichtete, dass der von der SPD geplante „Rechtsanspruch auf Familienarbeitszeit“ der Einstieg in die Debatte über die grundlegende Verkürzung der Arbeitszeit zugunsten einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Leben sein solle. „Die Familienministerin Manuela Schwesig hat mit dem Elterngeld Plus und der Familienpflege damit die ersten guten Schritte getan“, so Bahr. Angeregt wurde ein regelmäßiges Treffen von Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten aus Augsburg mit der SPD-Bundestagsabgeordneten in Form eines Empfangs, wo die Betriebsräte ihre Anliegen und Themen direkt mit Ulrike Bahr besprechen könnten.