Hearing Pflegekinderhilfe

Ulrike Bahr im Gespräch mit Pflegekindern
(c) Marcus Glahn

01. Dezember 2023

Wenn Kinder aus den unterschiedlichsten Gründen nicht bei ihren Eltern aufwachsen können, dann ist eine Pflegefamilie gerade für sehr junge Kinder oft eine gute Lösung. Denn sie bietet einen überschaubaren Rahmen und feste Bezugspersonen, sie kann verunsicherten oder traumatisierten Kindern Geborgenheit und Sicherheit vermitteln.

Am 27. November 2023 habe ich gemeinsam mit der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) zu einem Hearing in den Bundestag eingeladen, um gemeinsam mit Betroffenen zu erkunden, wo die Politik (Pflege-)Familien noch besser unterstützen kann. Am Vormittag haben Pflegekinder, Careleaver (ehemalige Pflegekinder), leibliche Eltern und Pflegeeltern in vier Stationen in kurzen und intensiven Diskussionsrunden ihre Anliegen mit Vertreter:innen der Fraktionen diskutiert. Am Nachmittag fand dann ein Fachgespräch im Saal des Familienausschusses statt.

Die Pflegekinder kritisierten besonders, dass viele Entscheidungen über ihren Kopf hinweg getroffen werden. Besonders zu Schullaufbahn und Berufswahl wünschen sie sich mehr Mitsprache. Vielen fehlt auch eine kontinuierliche Vertrauensperson. Amtsvormunde sind oft so überlastet, dass sie ihre Mündel gar nicht richtig kennen. Ein Thema war auch die finanzielle Benachteiligung: So dürfen Pflegekinder vom Schüler-BAFöG nichts behalten. Wie viel Taschengeld ihnen zusteht, ist nicht klar geregelt.

Die Herkunftseltern bemängelten besonders, dass viele Jugendämter ihnen mit grundsätzlichem Misstrauen begegnen und ein lange zurückliegendes Erziehungsversagen „wie ein Fettfleck“ sich nicht mehr wegwischen lässt. Es werde viel zu häufig nach Schema F vorgegangen und nicht auf den Einzelfall geschaut. Es ist erfüllend und sinnstiftend, ein oder mehrere Pflegekinder aufzunehmen, betonten alle anwesenden Pflegeeltern. Sie wünschen sich aber eine bessere Beratung, Begleitung, Aufklärung zur gesundheitlichen Vorgeschichte des Kindes, Diagnostik und Unterstützung, damit sie nicht Therapien, Behandlungen, Schulbegleitung etc. erst mühsam erkämpfen müssen. Sie hätten gerne mehr Zeit für die Kinder statt für die Bürokratie. Dann werde es auch leichter, neue Pflegeeltern zu gewinnen. Denn auch Pflegeeltern müssen Familie und Berufstätigkeit verbinden. Es gibt für sie kaum eine Alterssicherung.

Die Careleaver schließlich plädierten für einen eigenen Rechtsstatus „Leaving Care“, damit sie für BAFöG-Anträge, Wohngeld und vieles mehr nicht mehr Unterlagen ihrer leiblichen Eltern beibringen müssen und auch ihrerseits nicht herangezogen werden zu Unterhaltsleistungen für Eltern, zu denen sie schon lange keinen Kontakt mehr haben. Auch sollten die Fallverantwortlichen in den Jugendämtern bedenken, dass die Jugendhilfeakten später oft die einzige konstante biographische Information für junge Erwachsene sind, die in öffentlicher Verantwortung aufgewachsen sind. Umso wichtiger ist es, dass die Akten nicht nur defizit-orientierte Berichte über die Heranwachsenden enthalten, sondern auch ihre Wünsche, ihre Äußerungen und ihre Fähigkeiten darstellen – wie es die Vorgaben für Hilfepläne eigentlich auch vorsehen.

Alle waren sich einig: Wir brauchen in den Jugendämtern mehr Fachkräfte, die weniger Fälle zu bearbeiten haben, weniger Stress ausgesetzt sind und sich dann besser und mit mehr Kontinuität der Hilfe und Unterstützung der Betroffenen widmen können. Damit Jugendhilfe wirklich Hilfe bedeutet und nicht Mangelverwaltung. Der ungefilterte Blick in die Lebensrealität von Pflegefamilien hat alle anwesenden Abgeordneten und auch die Vertreterin des BMFSFJ sehr beeindruckt und motiviert, an der Verbesserung der Bedingungen weiterzuarbeiten.

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