Befristet, abgewogen und begründet!

Ulrike Bahr
(C)DBT Stella von Saldern

18. November 2020

In den letzten Tagen habe ich über 3300 Mails, viele Briefe und zahlreiche Anrufe zum heute beschlossenen Dritten Bevölkerungsschutzgesetz bekommen. Da ich bei dieser Fülle nicht mehr auf jede Zuschrift einzeln eingehen kann (würde ich für jede Zuschrift und Antwort auch nur 5 Minuten aufwenden, würde mich das mehr als 10 volle Tage – 24 Stunden durchgearbeitet – kosten), möchte ich mich dazu hier auf meiner Webseite erklären. Ich bitte um Ihr Verständnis!

Die Corona-Pandemie hat uns nun schon seit neun Monaten fest im Griff. Im Sommer sind die Inzidenzen stark zurückgegangen, so dass wieder ein weitgehend normales Leben möglich war. Seit Ende August steigen die Zahlen aber wieder stetig, und jetzt befinden wir uns in einer heftigen zweiten Welle. Zur allgemeinen Einschätzung der Pandemie haben sämtliche deutsche Wissenschaftsorganisationen eine gemeinsame Stellungnahme herausgegeben. Auch internationale Expert*innen von Forschungseinrichtungen und Universitäten fordern im John Snow Memorandum zu schnellem und geschlossenem Handeln auf. Wird das Virus nicht eingedämmt, droht die Überlastung der Gesundheitssysteme, die wir ja wieder bei unseren europäischen Nachbarn beobachten können.

Das gilt auch für meinen Wahlkreis Augsburg. Leider ist das Virus dort in den letzten Wochen in Altenpflegeheime getragen worden und hat Todesfälle verursacht. Ältere Menschen und Risikogruppen sind besonders auf unser solidarisches Handeln angewiesen. Ich empfinde es als zynisch, wenn argumentiert wird, an dem Virus stürben ja „nur“ die Alten und Vorerkrankten.

Das Infektionsschutzgesetz in seiner gegenwärtigen Form erlaubt es den Landesregierungen zum Schutz von Leben und Gesundheit (Artikel 2, Absatz 2 Grundgesetz), per Rechtsverordnung Maßnahmen wie Kontakt- und Abstandsverbote, Schließung der Gastronomie, Maskenpflicht etc. zu erlassen. Da diese Maßnahmen ihrerseits in schützenswerte Grundrechte eingreifen, ist zu Recht kritisiert worden, dass es dafür einer gesetzlichen Grundlage und parlamentarischer Kontrolle bedarf. Denn als Parlamentarier haben wir die Pflicht, die Regierung zu kontrollieren und den Spielraum, innerhalb dessen sich die Regierung bewegen darf, präzise zu definieren. Genau diese Aufgabe haben wir mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz erfüllt.

Was wird im 3. Bevölkerungsschutzgesetz geändert?

Im neuen § 28a IfSG (siehe dazu Änderungsantrag § 28a IfSG (PDF, 332 kB)) wird konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen welche Grundrechte wie lange und zu welchem Zweck per Rechtsverordnung eingeschränkt werden dürfen. Damit schaffen wir einen klaren Rechtsrahmen, um das Corona-Management transparenter zu gestalten. Alle Maßnahmen sind zeitlich befristet und auf die Bekämpfung von SARS-CoV-2 beschränkt. Zudem sollen die Schutzmaßnahmen das jeweilige regionale Infektionsgeschehen berücksichtigten. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Handlungsmöglichkeiten der Länder nach dem Infektionsschutzgesetz also nicht ausgeweitet, sondern präziser gefasst und damit insgesamt nachvollziehbarer. Alle Verordnungen müssen künftig begründet werden. Die Landesregierungen müssen damit im Vorfeld intensiv darüber nachdenken, ob Einschränkungen wirklich erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sind oder ob mildere Schutzmaßnahmen in Betracht kommen.

Es ist nicht richtig, dass durch dieses Gesetz entsprechende Schutzmaßnahmen automatisch verhängt würden. Es ist weiterhin Sache der Bundesländer und zuständigen Behörden, Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der SARS-CoV-2 Pandemie aufgrund des regionalen Infektionsgeschehens zu erlassen und wieder aufzuheben. Die parlamentarische Kontrolle wird gestärkt: So muss die Bundesregierung dem Bundestag regelmäßig über die Entwicklung der epidemischen Lage berichten. Das Parlament entscheidet über die epidemische Lage. Um das auf der Basis klarer Kriterien zu tun, haben wir den § 5 IfSG ebenfalls konkretisiert (Änderungsantrag §5 IfSG (PDF, 111 kB)). Sobald sich das Infektionsgeschehen zum Positiven wendet, ist es Sache des Bundestags, die epidemische Lage formal als beendet zu erklären. Damit enden auch alle darauf beruhenden Rechtsverordnungen und Anordnungen automatisch. Der laufende Beschluss des Bundestags zur epidemischen Lage ist befristet bis zum 31.03.2021. Allerdings bringen wir heute einen Antrag ein, der den Beschluss vom März noch einmal bekräftigt. Momentan ist die Pandemie leider keineswegs beendet. Das sieht auch die Weltgesundheitsorganisation so.

Ist das Bevölkerungsschutzgesetz ein „Ermächtigungsgesetz“?

Dieser Vergleich ist für mich als Sozialdemokratin unerträglich! Mit dem Ermächtigungsgesetz 1933 begannen die Nazi-Diktatur und die systematische Verfolgung politisch Andersdenkender. Dieser Vergleich ist ein Hohn für alle Opfer des Nationalsozialismus. Er ist inhaltlich komplett falsch: Das Parlament macht den Landesregierungen mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz strengere Vorgaben, als dies bislang der Fall war. Es handelt sich also eher um ein Begrenzungsgesetz!

Wir beschließen keine Impfpflicht!

Immer wieder wird auch behauptet, wir wollten eine Impfpflicht einführen. Momentan gibt es noch keinen zugelassenen Impfstoff. Die neuartigen Impfstoffe von Biontech und Moderna sind schon ziemlich weit im Zulassungsverfahren vorangeschritten, aber eben noch nicht auf dem Markt und aufgrund des verkürzten Zulassungsverfahrens auch erst einmal vorsichtig zu beurteilen.
Im 3. Bevölkerungsschutzgesetz ist auch keine Impfpflicht vorgesehen, weder direkt noch indirekt. Richtig ist aber, dass die Bundesregierung mit § 36 Abs. 10 IfSG eine Rechtsverordnung erlassen kann, mit der Personen, die aus einem Gebiet mit erhöhtem Infektionsrisiko in die Bundesrepublik einreisen wollen, zur Vorlage einer Impfdokumentation verpflichtet werden können. Das heißt aber nicht, dass Ungeimpfte nicht einreisen dürfen, ohne sich „zwangsimpfen“ zu lassen. Sie müssen dann aber weiterhin – wie auch jetzt - Quarantäne- und Testvorschriften beachten.

Wenn Covid19-Impfungen zur Verfügung stehen, werden sie, wie alle anderen Impfungen auch, gemäß § 22 IfSG in den Unterlagen des impfenden Arztes und in einem persönlichen Dokument (Impfausweis) dokumentiert. Das 3. Bevölkerungsschutzgesetz regelt einen Anspruch auf eine solche Impfung für Versicherte und Nicht-Versicherte. Eine Impfpflicht ergibt sich daraus nicht. Sie steht auch nicht zur Debatte.

Warum ist das Gesetz eilbedürftig?

Oft wird misstrauisch gefragt, warum das denn alles so schnell entschieden werden muss. Zunächst einmal: Das Verfahren ist zwar beschleunigt, aber regulär: 1. Lesung im Bundesrat, 1. Lesung im Bundestag, Anhörung, Verhandlungen mit umfangreichen Änderung (16 Änderungsanträge!), Abstimmung im Ausschuss und den mitberatenden Ausschüssen, 2./3. Lesung im Bundestag und anschließend Abstimmung im Bundesrat. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich auch daraus, dass im Gesetz auch eine ganze Reihe von Leistungen beschlossen werden: So erhalten Eltern, die Kinder in Quarantäne betreuen müssen, jetzt eine Entschädigungsleistung für Lohnausfälle. Für die Krankenhäuser gibt es umfangreiche Finanzhilfen noch im Dezember, damit ihre wirtschaftliche Existenz auch unter Pandemiebedingungen weiterbesteht.

Auch mit einer besseren Berichterstattung zur Covid19-Pandemie (Surveillance), mit der weiteren Erhöhung von Testkapazitäten und mit der Ausarbeitung und Vorbereitung einer Impfstrategie wollen wir nicht länger warten. Denn die letzten Wochen haben gezeigt, dass das Virus sich exponentiell verbreitet, wenn es keine entschlossenen Gegenmaßnahmen gibt.

Abschließend lassen Sie mich festhalten: Die Corona-Maßnahmen tun weh und machen absolut keinen Spaß. Wir gewinnen aber nichts, wenn wir alle unsere Ängste gegeneinander ausspielen: die Angst um die eigene Gesundheit, die Angst vor einer Wirtschaftskrise, die Angst vor Einsamkeit, die Angst vor verpassten Bildungschancen, die Angst um Freiheitsrechte. Ich kann nur für meine Fraktion im Bundestag sprechen, beziehe aber ausdrücklich die ganze Bundesregierung ein: Wir bemühen uns um einen Ausgleich all dieser berechtigten Sorgen und Anliegen, z.B. mit dem Ansatz, Schulen und Kitas weitgehend offen zu halten, den betroffenen Branchen umfangreiche Wirtschaftshilfen zu geben und in allem zu versuchen, die Verhältnismäßigkeit zu wahren. Dabei ist sachliche Kritik natürlich immer willkommen. Keiner hat hier einen Anspruch auf die alleinige Wahrheit.

Ich hoffe, dass diese Ausführungen Ihnen helfen, Ziel und Inhalt der Reform besser einzuordnen und Bedenken auszuräumen. Die zentralen Änderungsanträge aus dem Gesetzgebungsverfahren habe ich verlinkt.

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